Dampfboot St. Urs

Beginn in Solothurn (1889 - 1894)

Jubel kommt auf, als das Dampfboot auf der Aare in Solothurn einfährt. Ein zahlreiches Publikum ist erschienen um St. Urs gebührend zu begrüssen. Bereits vorgestern hatten die Leute - allerdings vergebens - auf das Dampfboot gewartet. Die Lokalzeitung hatte das Ereignis bereits auf diesen Zeitpunkt angekündigt.

Schlechtes Wetter hatte die Ankunft aber um zwei Tage verzögert. Seit über  30 Jahren war kein Dampfschiff mehr nach Solothurn gekommen. Entsprechend gross war deshalb das Interesse am neuen Aaredampfer. An jenem 4 Juli 1889 wurde ein weiteres Kapitel der Aareschifffahrt aufgeschlagen und es war auch der erste Auftritt eines aussergewöhnlichen Bootes, das über Generationen hinweg immer wieder Leute begeistern wird.

Wie hatte die Geschichte des Dampfbootes St. Urs begonnen? Im April 1889 gründet Ferd. von Sury, ein wohlhabender und Technik interessierter Solothurner, zusammen mit 5 weiteren Solothurnern den Solothurner Dampfbootclub.

Ziel des Clubs ist es die Aareschifffahrt nach mehr als 30 Jahren wieder zu beleben. Man will Bedarfsfahrten für Clubmitglieder und andere Interessierte anbieten. Die Kosten für das Projekt werden zu ca. 80% von Ferd. von Sury, übernommen. Man lässt eigens zu diesem Zweck ein Dampfboot mit 14 Personen Tragkraft bei der Dampf-Boot & Maschinenfabrik R. Holtz in Harburg bei Hamburg bauen. Das Boot verlässt die Werft mit der Baunummer 613 mit dem Bestimmungsort Solothurn. Es ist 9 Meter lang und 2 Meter breit.

Überhaupt wurden die Fahrten des Dampfboots St. Urs auf den Juragewässern minutiös im Kassabuch des Solothurner Dampfbootclubs dokumentiert. Glücklicherweise blieb dieses erhalten, so dass wir nach mehr als 117 Jahren die Dauer, den Kohleverbrauch und teils auch die teilnehmenden Passagiere dieser Fahrten noch kennen. Darüber hinaus sind noch andere Dokumente erhalten geblieben, unter anderem der Generalplan und einige stimmungsvolle Fotografien.

Anfang des Jahres 1894 begannen sich Probleme im Solothurner Dampfbootclub abzuzeichnen. Zwei Mitglieder traten aus und wurden ausbezahlt. Obwohl Ferd. von Sury seit jeher den Löwenanteil der Kosten getragen hatte, war er offenbar nicht bereit diese zusätzlichen Anteile zu übernehmen. Mit einem Inserat wurde nach neuen Mitgliedern gesucht – offenbar ohne Erfolg.

Am 1. November 1894 erlebte St. Urs seine letzte Fahrt auf der Aare. Tags darauf wurde das Boot an Kaspar Spiller aus Alpnachstad verkauft und mit der Bahn in die Innerschweiz gebracht. Dieses Ereignis hinterliess Spuren in der Solothurner Presse. Man sah darin nun endgültig und für alle Zeiten das Ende der Aareschifffahrt als gekommen. So falsch lag die Zeitung damals gar nicht. Mindestens für eine Generation gab es tatsächlich keine Personenschifffahrt mehr auf der Aare. Erst mehr als 50 Jahre später kam mit den Romandie-Schiffen wieder regelmässiger Personenschiffsbetrieb auf die Aare.

Die Werft war wohlüberlegt ausgewählt. Holtz war bekannt für qualitativ hervorragende Boote mit einer Grösse bis 30 Meter. Später sollten auch noch andere, allerdings Motorboote von Holtz den Weg in die Schweiz finden. Darunter 1903 MS Caprino, MS San Martino und MS Monte Bre für den Lago di Lugano. Letzteres wurde später zum Dampfboot Sirius umgebaut und auf den Zürichsee gebracht. Dass einige Boote dieser Werft auch heute noch verkehren, zeugt von der aussergewöhnlichen Qualität sowohl des Designs als auch der Ausführung.

Auch der Name des Bootes war nicht zufällig gewählt worden. Er bezieht sich auf den Stadtheiligen von Solothurn. Urs kam zusammen mit Viktor als römischer Legionär nach Solothurn. Da sie als bekennende Christen ihrem Glauben nicht abschwören wollten, wurden sie als Martyrer hingerichtet. Der Legende nach packten sie nach ihrer Hinrichtung ihre Köpfe und schwammen hoch erhobenen Hauptes die Aare hinab und legten sich unterhalb der Stadt am Aareufer zur letzten Ruhe hin.

Nachdem das Boot in Solothurn angekommen war, wurden viele Fahrten durchgeführt. Als Heizer und Maschinist wurde ein Herr Burkhalter im Stundenlohn angestellt. Hauptsächlich waren es die Mitglieder des Solothurner Dampfbootclubs welche die Fahrten unternahmen. Teilweise wurde das Boot aber auch an Nichtmitglieder verchartert.

Ab und zu berichtete die Solothurner Presse über die Aktivitäten des Bootes. Besondere Aufmerksamkeit fand die die 3-Seenfahrt von 1890. An einem Tag wurde die Aare, der Bielersee, der Ziehlkanal , der Neuenburgersee, der Broyekanal sowie der Murtensee durchfahren um nach Murten und gleichentags wieder zurück nach Solothurn zu gelangen. Wie den Aufzeichnungen des Solothurner Dampfbootclubs zu entnehmen ist, dauerte die Fahrt 14 Stunden und es wurden 500 kg Kohle verbraucht.

Vierwaldstättersee (1894 - 1903)

Caspar Spiller hiess der neue Besitzer des Bootes. Er hatte in Alpnachstad eine Transportunternehmung auf dem See. Umgehend liess er St. Urs zum Dampfschlepper umbauen. Im Bundesarchiv befindet sich die damalige Betriebsbewilligung mit den detaillierten Angaben zum Boot. Es war fortan nur noch für Schleppdienste, nicht aber zur Personenbeförderung zugelassen. Leider wissen wir über diese Zeit von St. Urs nur wenig. Nach mündlichen Mitteilungen des Urenkels von Caspar Spiller war das Boot beliebt gewesen. Um das Boot schneller zu machen sei man offenbar nicht davor zurückgeschreckt das Sicherheitsventil zu manipulieren.

Wahrscheinlich war der Betrieb eines Kleindampfers irgendeinmal nicht mehr rentabel oder das Boot erlitt einen Maschinenschaden. Jedenfalls stand es 1903 nutzlos neben einem Schuppen in Alpnachstad. Dort wurde es von Herrn Läubli entdeckt. Ob es wirklich Zufall war oder ob er den Werdegang von St. Urs aufmerksam verfolgt hat, bleibt fraglich. Interessant ist jedenfalls, dass die Solothurner Presse bereits beim Verkauf an Caspar Spiller 1894 von Kaufinteressenten am Sarnersee gesprochen hatte. Vielleicht war ihm damals das Boot einfach zu teuer gewesen.

Sarnersee (1903 - 1992)

Nun hatte sich die Zeit geändert. Das Boot war älter geworden und Dampfboote in dieser Grösse waren technisch völlig veraltet. Verbrennungsmotor war das Zauberwort für diese Leistungsklasse. Läubli hatte allerdings einen noch moderneren Antrieb im Sinn. Als Besitzer einer Möbelfabrik in Wilen hatte er schon sehr frühzeitig auf die elektrische Energie gesetzt. Im betriebseigenen Kraftwerk produzierte er mit Hilfe von Wasserkraft Elektrizität. Was lag also näher als den ungenutzten Nachstrom zum Laden von Akkumulatoren zu verwenden. Er wollte das Boot auf dem Sarnersee als Passagierboot mit Elektroantrieb fahren lassen.

Er holte deshalb mehrere Offerten für den Antrieb ein. Den Zuschlag erhielt schliesslich die Firma Tribelhorn aus Olten. Der Ausbau des Bootes wurde neu ausgeführt. Es erhielt ein elegantes Süll und im hinteren Teil ein massives Dach aus Holz. Vorne konnte ein Sonnensegel aufgespannt werden. Der Steuerstand lag nun im Bugbereich. Zusammen mit dem Dampfantrieb verlor es aber auch den Namen. Aus St. Urs wurde fortan Volta. Der neumodische Antrieb sollte bereits im Namen erkennbar sein.

Das Boot bot so 22 Personen Platz. Die Fahrten wurden hauptsächlich von Sarnen her ausgeführt. Die Fahrt Sarnen – Sachseln dauerte 15 Minuten und kostete 60 Rappen. Wer von Sarnen nach Zollhaus wollte, benötigte 40 Minuten und musste dafür 1.15 Franken berappen. Falls weniger als vier Passagiere an Bord waren, mussten diese gleich viel wie vier bezahlen um die Fahrt stattfinden zu lassen.

1903, also im Jahr der Inbetriebnahme auf dem Sarnersee stattete sein früherer Besitzer, Ferd. von Sury, dem Boot einen Besuch ab. Offenbar hatte er auch nach all den Jahren eine Verbundenheit mit dem Boot. Als technisch Interessierter wollte er sicher auch den Elektroantrieb erleben. Nun war das Boot also wieder im Personentransport. Die Fahrten waren wohl hauptsächlich touristischer Natur.

Bald erhielt das Boot aber Zusatzaufgaben als Schlepper. Um die fertigen Möbel von der Fabrik in Wilen spedieren zu können, mussten diese auf die andere Seite des Sees auf den Bahnhof Sachseln gebracht werden. Dieser Transport erfolgte über den See mittels Nauen, die Volta zu schleppen hatte. Die Personentransporte traten so mehr und mehr in den Hintergrund. Um 1920 fand das auch den Niederschlag im Bauzustand des Bootes. Das Dach war verkleinert und der Ausbau vereinfacht worden.

In den 30er Jahren erfuhr das Boot einen weiteren wesentlichen Umbau. Im Bugbereich wurde eine geschlossene Kabine mit Bullaugen errichtet und im Heckbereich das Deck auf Schalenhöhe gelegt. Eine neue Elektroantriebsanlage wurde ebenfalls installiert.

Der Name Volta wich der schmucklosen Nummer OW 3. Nach wie vor wurden Schleppdienste durchgeführt und zeitweilig auch Passagierfahrten. Auch der 2. Weltkrieg ging nicht spurlos am Boot vorbei. Am 29. April 1941 musste das Boot gestellt werden. Ob es dann auch requiriert wurde und welcher Art die Einsätze gewesen waren, ist nicht bekannt.

Legendär sind die Einsätze als Eisbrecher um die Fahrrinne zwischen Wilen und Sachseln offen zu halten. Der Transport über den See verlor Ende der 60er Jahre rasch an Bedeutung, da nun Lastwagen zur Spedition verwendet wurden. Nun waren es nur noch gelegentliche Passagierfahrten, die ausgeführt wurden.

Als dann die Antriebsanlage einen Defekt erlitt, wurde das Boot schliesslich 1973 ausser Dienst gestellt. Es blieb aber an seinem angestammten Platz im fabrikeigenen Bootshaus in Wilen liegen. Zwar bestand die vage Absicht, das Boot mit Dieselantrieb auszustatten, welche aber nie in die Tat umgesetzt wurde. So lag das Boot über mehr als 2 Jahrzehnte schlafend im Bootshaus in Wilen, gleichsam wie Schneewittchen darauf wartend, wach geküsst zu werden…

© mks-design

Impressum